Im Herbst 1869, kurz nachdem in Hamburg die Kunsthalle eröffnet worden war, begann in Rom Anselm Feuerbach mit der Arbeit seinem monumentalen Gemälde „Das Urteil des Paris“ – einem Werk, das nach dem Willen seines Schöpfers der kriselnden Gattung der Historienmalerei noch einmal neues Leben einhauchen sollte, und das zu diesem Zweck ein ganzes Arsenal an klassischen Vorbildern herbeizitiert. Das Urteil der Kritik fiel indes zwiespältig aus, so dass das Gemälde noch einige Jahre im Besitz des Künstlers verblieb, bevor es schließlich 1882 – zwei Jahre nach Feuerbachs Tod – als Schenkung in die Hamburger Kunsthalle gelangte.
Während Feuerbach in der „Ewigen Stadt“ von einer Wiederbelebung des Ideals der Antike träumte, saß 1.500 Kilometer entfernt an der französischen Kanalküste bei Étretat der Maler Gustave Courbet in einem kleinen Haus direkt am Strand und arbeitete an einer umfangreichen Serie von Wogen- und Brandungsbildern. Erstmals in der Geschichte der Kunst verzichtet Courbet darin auf jeglichen erzählerischen Rahmen oder mythologischen Hintergrund; nichts lenkt ab von der unmittelbaren Konfrontation mit der Urgewalt der Natur.
Ganz im Gegensatz wiederum zu Courbets radikalem Rückzug aus der Gesellschaft hatte im Frühjahr desselben Jahres Édouard Manet mit seinem Gemälde „Le balcon“ den Pariser „Salon“, die große, zu dieser Zeit alljährlich stattfindende Ausstellung der französischen Akademie, zum Experimentierfeld eines neuen Verhältnisses von Kunst und Öffentlichkeit gemacht. Und wie zum Beweis dafür, dass sich die Malerei – nach einem Wort von Baudelaire – dem „modernen Leben“ zu widmen habe, stellten Claude Monet und Auguste Renoir wenig später ihre Staffeleien bei „La Grenouillère“, einem beliebten Tanzlokal mit Bootsverleih und Badeanstalt, auf. Im Sommer 1869 entstanden hier, an diesem paradigmatischen Ort bürgerlichen Freizeitvergnügens, einige der frühesten „impressionistischen“ Bilder.
Anlässlich des Jubiläums warfen wir im diesjährigen Salon der Freunde einen Blick zurück auf das bewegte Jahr der Eröffnung des Museums vor 150 Jahren. Wie sah damals die Kunstwelt in Hamburg und anderswo aus? Was wurde gemalt, was gesammelt – und warum? Exemplarisch stellen wir einige der „Bilder des Jahres“ 1869 vor und diskutieren über den Wandel des Geschmacks, die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen und die Frage nach dem kunstgeschichtlichen „Fortschritt“.
Zu Gast im Klingersaal waren diesmal Dr. Alice Gudera, Dr. Gabriele Himmelmann sowie Dr. Markus Bertsch, Leiter der Sammlung 19. Jahrhundert an der Hamburger Kunsthalle.